19. September 2022 - Roman Rezension (Werbung Rezensionsexemplar)
Nächte in Großstädten sind lebendiger als angenommen. Auf eine besondere Weise sinnbildlich unbekleideter als bei Tageslicht. Die japanische Hauptstadt nimmt diesbezüglich eine herausragende Stellung ein, erzählt uns Atsuhiro Yoshida in „Gute Nacht, Tokio“.
Taxifahrer als Roter Faden
Wer vom Titel her auf einen Abgesang auf Tokio schließt, sieht sich schnell getäuscht. Im Gegenteil: Yoshida belebt die Nacht in der japanischen Hauptstadt mit seinen skurrilen Figuren, die er geschickt über den Taxifahrer Matsiu verbindet.
Zum Beispiel Mitsuki, die in der Requisite arbeitet. Sie soll für den nächsten Drehtag eine Biwa-Frucht oder einen Erdnussknacker besorgen. Oder Kanako Fuyuki, die für die Telefonseelsorge arbeitet.
Café Drehkreuz
Kanako soll in dieser Nacht die Zerstörung einer Sprachbox (Anrufbeantworter) überprüfen. Im Anschluss bringt Taxifahrer Matsui Kanako in sein Lieblingscafé, das „Drehkreuz“.
Es wird von vier Frauen geführt und erweist sich als das, was der Name andeutet. Yoshida knüpft die vielen einzelnen Fäden dieser Tokioter Nacht zusammen und lässt sie wieder (anders) auseinanderlaufen.
Gut beobachtet
In Charakterisierung und Handlung offenbart der Autor seine großartige Beobachtungsgabe. Zugleich gelingt es ihm, das Besondere der Einwohnerinnen und Einwohner Tokios darzustellen, ohne dass es stereotyp wirkt. Besonders die authentische Figurencharakterisierung ist hervorzuheben; sind die Figuren durchaus skurril und vielleicht deshalb auch wieder ganz „normal“ sind.
„Gute Nacht, Tokio“ ist ein Roman, dem es gelingt, das Leben zu erhellen, das Nacht für Nacht in der Metropole für viele Menschen verborgen scheint. Manchmal durch grelles Neonlicht, manchmal durch den Mond.
Atsuhiro Yoshida; Gute Nacht, Tokio
Aus dem Japanischen von Katja Busson
cass verlag 2022