Walter Scott: Die Braut von Lammermoor

06. März 2021 - Roman Rezension (nicht gesponserte Werbung)

Der Roman „Die Braut von Lammermoor“ erschien 1819 als Teil des losen Romanverbundes „Die Erzählungen meines Wirtes“ und fügt sich nahtlos in die von Sir Walter Scott mitgeschaffene Gattung des historischen Romans ein, dessen Startpunkt sein Roman „Waverley“ im Jahre 1814 bildete, der für eine bis dato unbekannte Euphorie für dieses neue Genre, nicht nur in Schottland und England, sorgte.

Der Geschichte, die der Roman erzählt, liegt eine tatsächliche Begebenheit zugrunde. Die Tochter von Lord Stair gibt, ohne das Wissen ihrer Eltern, ihr Versprechen Lord Rutherford, der aufgrund seiner politischen Überzeugungen und seines fehlenden Vermögens niemals das Wohlwollen ihrer Eltern erhalten hätte. Die energische Gattin Lord Stairs, mit ihrem Mann im Gefolge, untersagt deshalb jegliche Verbindung beider und bestimmt ihrerseits als geeigneten Bräutigam kurzerhand einen anderen.

Die Tochter fügt sich zunächst still in ihr Schicksal; bis zum Hochzeitstage, als man die Frischvermählten, gemäß den alten Bräuchen, alleine in einem Raum zurücklässt. Doch nicht für lange. Schreie und Gepoltere rufen die Hochzeitsgesellschaft zurück und was man im Zimmer des jungen Brautpaares entdecken muss, raubt ihnen den Atem und jegliche Lust auf weitere Feierlichkeiten. Der Bräutigam, gerade eben noch so stolz und schön, liegt hingestreckt, blutüberströmt und mit klaffender Wunde auf den Boden des Zimmers, während die Braut, wie von Sinnen, grimmassenschneidend mit dem blutigen Messer fuchtelnd, den Verstand verloren zu haben scheint.

Keine großen Veränderungen nimmt Scott von dieser Begebenheit in seinem Roman vor. Er tauscht die Namen, aus Dalrymple (Familienname Lord Stairs) wird Ashton und Lord Rutherford wird zu Lord Ravenswood, nicht jedoch das Gleichnis ihres Charakters und ihrer Einstellungen. Die Familie Ashton profitiert von den Veränderungen, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Schottland und ganz Großbritannien ereignen. Die alte Stuart-Dynastie wird abgesetzt, das aufkommende Bürgertum, die reicher werdender Kaufleute und Händler und die protestantische Mehrheit lässt über die Nordsee einen neuen König kommen, Wilhelm von Oranien.

In dessen Sog gelangen die Ashtons zu Macht, Reichtum und Einfluss, während gleichzeitig jene alten, ehrwürdigen, altadeligen Familien, wie die der Ravenswood, ihren Glanz verblassen sehen, schlimmer noch, Reichtum und Einfluss schwinden, bis nur noch unbändiger Stolz übrig bleibt.

Doch der Zufall oder das Schicksal führt zwei der jüngeren Mitglieder dieser so unterschiedlichen Familien zusammen, so nah zusammen, dass sie einander Liebe und Treue versprechen, ohne zuvor den Segen der energischen Lady Ashton und ihres Gatten erfragt zu haben. Prompt bleibt dieser versagt, er wird gar untersagt und zum Überfluss ein anderer Bräutigam wird bestimmt.

Es gibt nun kein Entrinnen mehr für Lucy Ashton, jene unglückliche Tochter. Verzweifelt hält sie ihr Versprechen jenem letzten Spross der Ravenswood gegenüber, bis es der Mutter und der Zeit gelingt, ihren Willen zu brechen. Der Hochzeitstag wird festgesetzt, die Heirat vollzogen und das Brautpaar allein gelassen. Doch nicht für lange.

Laute Schreie rufen die Gesellschaft zurück und welch Grauen müssen sie im Raum entdecken. Der Bräutigam blutüberströmt und schwer verwundet, während die Braut die besudelte vermeintliche Tatwaffe hält und, was noch schlimmer wiegt, von Sinnen scheint. Der Bräutigam erholt sich wieder, die Braut dagegen nimmer mehr.

Scott erzählt nicht allein die unglückliche Geschichte zweier Familien, sie stehen zugleich für die beiden Strömungen jener Periode der schottischen Geschichte. Die alten edlen Adeligen, die mit dem Königshaus der Stuarts auch ihren Einfluss verloren und jene neuen politischen Taktierer, wohlhabend und in Verbindung mit dem neuen Königshaus, die wichtigsten und einflussreichsten Ämter des Reiches besetzend. Scotts Versuch der Versöhnung beider Gruppen miteinander in Form von Lucy Ashton und Edgar Ravenswood scheitert, wie sie auch in Wirklichkeit scheitert.

Wie in vielen Romanen Scotts verdienen nicht allein die Hauptfiguren der Geschichte besondere Aufmerksamkeit. Gerade die Nebenfiguren überzeugen bei Scott durch ihre Identität und ihre Darstellungskraft besonders des einfachen Lebens dieser Zeit in Schottland. Vielfach verwoben mit realen Begebenheiten charakterisiert Scott mit ihnen sein geliebtes Heimatland und seine Landsleute.

Die Braut von Lammermoor“ ist einer der wenigen Romane Scotts, die nicht mit einem glücklichen Ende versehen sind. Scott hat sich stets bemüht, den Schluss seiner Geschichten, so zu biegen, ja, manchmal sogar zu verbiegen, damit das Gute obsiegt. Das dies in „Die Braut von Lammermoor“ nicht geschieht, wird zuweilen dem körperlichen Leiden Scotts zugeschrieben, während dessen der Autor den Roman verfasste. Er gebührt aber gleichwohl auch der Detailtreue Scotts gegenüber dem originalen Ursprung der Geschichte und der Historie seines Landes.

Die Braut von Lammermoor“ ist sicherlich nicht Scotts bester Roman geworden, doch ist er einer der Besonderen seiner großen Schaffenskraft und deshalb nicht minder interessant und lesenswert.

 

Walter Scott: Die Braut von Lammermoor

 

 


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