11. März 2021 - Sachbuch Reiseliteratur Rezension (Werbung Rezensionsexemplar)
Kongenial wird Reiseliteratur erst, wenn sie von verschiedenen Blickwinkeln geschrieben wird. Spoerri und Rózsa bringen für ihr Buch über die ungarische Hauptstadt dafür die besten Voraussetzungen mit. Deshalb ist dieses Buch mehr als ein Reiseführer.
Wenn „Budapest Abseits der Pfade“ mit einem Dialog startet, in dem es um die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage Ungarns im Allgemeinen und Budapests im Besonderen geht, wird schnell deutlich, dass die Leserin und der Leser ein anderer Reiseführer erwartet, als man vielleicht gewohnt ist oder angenommen hat.
Budapests Metamorphose vom „Paris des Ostens“ zur Stadt zwischen West und Ost – wir werden mitten hinein geworfen in die Straßen mit den maroden Fassaden. Die Ungarn, so erfahren wir, sind krisenerprobt. Reden wir nicht von KuK, Weltkriegen und Ostblock. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs begab sich das Land stracks in Abhängigkeit von Großkonzernen der Automobilindustrie und Technologie, einhergehend oder gefördert von korrupten Politikerinnen und Politikern. Hier wurde alles zu Forint gemacht, was nicht niet- und nagelfest war.
Den Schwenk zum eigentlichen Thema des Buches schaffen die Autorin und der Autor durch den Verweis auf eine große Fast-Food-Kette, die sich in einem baufälligen Bahnhofsgebäude in Budapest eingenistet hat.
Budapest prägen nicht nur kulturelle Fragen, und schon gar nicht rein touristische. Zum Charakter der Stadt an der Donau gehören untrennbar wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Diesen Zusammenhängen widmen die Autoren ihr Buch.
Wie jedes gutes Sachbuch gibt es eine Gliederung:
Zu Fuß unterwegs – Der Blick der Straße
Kontraste – Ungleichzeitigkeit und Gleichzeitigkeit
Zeitreisen – alter Prunk und Ausverkauf
Durch den Budapester Magen
Vom Holocaus-Museum bis Judapest
Von Capa bis Müpa
Budapest, so erfahren wir, hat seinen Ostblock-Groove abgeschüttelt. Dennoch gibt es hier Bezirke, an denen Strukturwandel und Gentrifizierung kommentarlos vorbeimarschiert sind. Wir lernen, warum es in Budapest und Ungarn so wenig Mietwohnungen und so viel Wohneigentum gibt. Die Antwort überrascht: Weil sich der Staat nach dem 2. Weltkrieg seiner Verantwortung durch den günstigen Verkauf der Wohnungen entzog. Seiner Verantwortung für die Instandhaltung nämlich.
Was jeder Budapest-Besucher wissen muss: In Ungarns Hauptstadt zählen die inneren Werte. Aus den einfachsten Verhältnissen zaubern die Budapester kreativ etwas Eindrucksvolles. Wie die Ruinenkneipen.
Dieses Buch hat einiges in petto. Einen kleinen Ratgeber für die ungarische Sprache, Empfehlungen zur Mobilität in Budapest und Restaurants. Im Anhang befinden sich wertvolle Tipps zu Bargeld, Taxifahren, Hotels, Zahnärzte, Geheimtipps und Kuriositäten.
„Budapest: Abseits der Pfade“ ist etwas für Reisende, die eine Stadt zu Fuß erkunden möchten, die Fragen stellen und Anteil nehmen.
Das Buch ist hier direkt beim Verlag erhältlich.
Beate Spoerri & Miklós Klaus Rózsa
Budapest: Abseits der Pfade
braumüller
190 Seiten, Taschenbuch