Maria Wismar: Badow

Kapitel 2: Drei Worte

Chris` Schweigen brannte wie eine Lunte in meiner Seele. Ihre langen, schlanken Finger glitten über das silbergraue Lenkrad, als wir von der Hauptstraße in einen schmalen Waldweg Richtung Badow abbogen. Die sauerkirschroten Lippen waren leicht geöffnet. Hätte ich Chris in diesem Augenblick malen können, ich steckte sie in einen metallenen Panzer. Lady Ice könnte ihre Figur in einem Comic heißen. Mit einem stummen Ausrufezeichen in der Sprechblase.

Statt zu zeichnen, hockte ich auf dem Beifahrersitz, die Hände auf den Oberschenkeln abgelegt und lauschte. Aber Chris, dass war klar, wollte nicht reden und die Stille breitete sich bleischwer über uns aus. Selbst wenn wir jetzt hätten sprechen wollen, würde sie jedes Wort umhüllen, bevor es gesagt werden konnte.

Dabei hatte ich ihr so viel zu sagen. In der Brusttasche meines Hemdes lag ein Ring. Mit jedem Atemzug spürte ich ihn auf meiner Brust. Silber, mit einem achteckigen Diamanten, eingefasst in eine Krone. Tausend Mal hatte ich es geübt. Niederknien, ihr in die Augen sehen und die Aufregung und Tränen niederkämpfen. Drei Worte von Chris hatten den Traum wie ein Trugbild zerplatzen lassen.

Marie-Luise war noch winkend im Rückspiegel zu sehen, als Chris sie mir im Auto sagte. Einfach so. Ohne einen Prolog. Und ohne ein Nachwort.

Die Sonne ritt auf dem Horizont und blinzelte zu uns herüber. Kraniche zogen durch die goldgelbe Scheibe nach Süden. Eine Allee knarzender Eichen säumte den Weg und warf lange Schatten auf die dunkelbraunen Äcker zu meiner Rechten. Das Schweigen verhüllte die gute Laune der letzten Tage in einen meterdicken Eispanzer. Die Wiesen, die jetzt links und rechts der Straße auftauchten, schimmerten mit einem Mal nicht mehr saftig, sondern grau, ohne Motivation.

Dabei hätte ich glücklich sein können.

Die Scheinwerferkegel verfingen sich in einem Birkenhain. Das Dämmerlicht senkte sich. Unser letzter von zehn Urlaubstagen. Eigentlich rücksichtsvoll von Chris, es mir erst heute zu offenbaren. Der Wagen wurde langsamer und wir hielten auf einem Grasstreifen entlang des Weges. Rücksichtsvoll zu sein war nicht ihr Stil.

„Hier muss es sein“, sagte sie und löste ihren Gurt.

Sie seufzte und es kam mir wie das erste Anzeichen eines Gefühls vor – seit … seit den drei Worten, nachdem wir Marie-Luise nach Hause gebracht hatten. Ich war versucht, den Schraubendreher aus dem Handschuhfach zu packen und ihn über Chris` Haut zu ritzen – nur um zu sehen, ob sie ein Mensch war oder vielleicht doch nur eine Maschine. Das Letztere wäre zumindest eine Erklärung, wie sie so … so grausam sein konnte.

„Robert!“, ihre Stimme hatte einen ungeduldigen Unterton. „Es dauert nicht mehr lange, bis er kommt.“

Ihr linker Mundwinkel zuckte leicht nach unten wie er es immer tat, wenn Chris ungeduldig wurde.

„Wie kannst du annehmen, dass dieser … dieser blöde Komet mich jetzt noch interessiert?“

Sie blickte zu mir. Selten, dass sie sich die Zeit nahm, jemanden länger als zwei Sekunden anzusehen. Ihre Nasenflügel, die normalerweise leicht vibrierten, blieben ganz ruhig. Ich versuchte in ihren Augen zu lesen. War das Trauer?

Kraniche schrien. Der Moment war vorbei und Chris stieg aus.

Mein Leben war vor einer halben Stunde mit drei Worten aus der Bahn geworfen worden. Alles was bisher konstant, schnurgerade verlaufen war, hatte in jenem Augenblick einen hässlichen Knick bekommen. Als hätten die Worte scharfe, rostige Kanten gehabt. Wie hatte Chris lapidar gesagt: Ich bin schwanger. Drei Worte.

Ich, Robert Maltzahn, würde Vater werden.

Oder vielmehr, ich werde kein Vater, obgleich Chris schwanger und meine Freundin war.

Ich öffnete die Tür und stieg aus dem Auto. Es war doch keine Entscheidung, die sie allein treffen konnte. Christiane war auf einem schmalen Fußweg entlang einer Haselnusshecke eingebogen und blickte zum Himmel.

„Wir müssen reden“, sagte ich und holte sie ein.

Es war kühl geworden. Die Sonne blinzelte nur noch zeigefingerbreit über den Horizont.

„Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich habe mich entschieden.“

„Zum Kindermachen gehören zwei.“

Ich versuchte, meinen Arm um ihre Hüfte zu legen.

„Tatsächlich? Nun, dass hat ja auch funktioniert“, ihre Stimme blieb kühl. Sie wand sich aus meiner Umarmung. „Der Komet kommt gleich. Hartley, oder wie war sein Name?“

„Der Vater sollte mitentscheiden.“

„Der Vater“, Chris sagte das in einem Ton, als dachte sie an etwas Abstraktes. Ihr Gesicht nahm den gewohnten Dozentenausdruck an. „Der Vater ist nicht schwanger. Der Vater trägt das Kind nicht aus. Der Vater unterbricht seine Karriere nicht. Bei so viel NICHT, wo begründet sich da ein Mitspracherecht? Ich kann das beim besten Willen nicht sehen.“

Ihre Argumentation, so abartig sie war, war schwer zu widerlegen. Trotzdem!

„Grund gütiger, ich kann dir helfen. Dir viele Sachen abnehmen, überall mit dem Kind …“

„Quatsch“, brummte Christiane.

„… Elternzeit nehmen, Haushalt regeln und Kind groß ziehen - während du Karriere machst. Ich könnte den nächsten Abendkurs Kochen für Männer belegen.“

„Das klappt nie.“

Selbst wenn Chris meine Worte in Betracht gezogen hätte, ihre Meinung stand fest. Es war unmöglich, sie zu einer Änderung zu bewegen. In gewisser Weise glich sie einem Stier, der ein rotes Tuch fixiert hat und sich durch keine Umstände von seinem Ziel abbringen ließ. Sie würde jeden Angriff gegen ihre Entscheidung abwehren und sei sie noch so falsch. Der Punkt war, dass sie ihr Ziel grundsätzlich erreichte. Entscheidungen traf sie alleine. Zwar reiflich überlegt, dafür unabänderlich. Der Wind frischte auf.

„Woher willst du wissen, dass es nicht funktioniert? Ich kann alles lernen, was erforderlich ist. Meine Noten in der Schule waren durchweg gut. Ich bin nicht dumm. Ich kann das schaffen!“

Chris zog leicht die Augenbrauen hoch, was immer ein Zeichen war, dass ihre Geduld auf das Äußerste herausgefordert wurde.

„Dein Optimismus in allen Ehren. Kinder kann man nicht zurückgeben, wenn es nicht klappt. Außerdem ist mein Leben so wie es ist, perfekt. Für den Augenblick jedenfalls.“

Ich hielt es nicht mehr neben ihr aus. Sollte ich vielleicht stolz und zufrieden damit sein, dass ich ein Teil ihres zufriedenen Lebens sein durfte? Ihre Entscheidung konnte – wollte ich nicht verstehen. Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden, wenn …

„Glaub mir, ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.“

In der Ferne leuchteten die Lichter von Badow, dem alten Gutsdorf, dessen Kirche und Ritter wir heute besucht hatten. Ein paar Meter von mir lag ein Findling so groß wie ein Tisch. Er besaß eine Mulde auf der Oberseite, in der Form und den Ausmaßen einer Hand. Ein Ebereschenstrauch breitete seine Äste darüber wie ein Schirm. Ich legte meine Hand in die Mulde, die wie dafür gemacht schien. Fühlte mich zugleich leer wie traurig.

„Es ändert nichts, wenn du davonläufst“, Chris` Stimme klang weit entfernt. Aber als stände sie direkt hinter mir konnte ich hören, wie sie die Luft durch die Lippen stieß.

Ich war es sicher nicht, der sich dem Problem entzog. Ihre Art, die Dinge zu verdrehen, machte mich wütend. Wir standen hier nicht vor Gericht!

„Da! Der Komet! Ich kann ihn sehen.“

Chris hatte tatsächlich die Muße, den Himmel nach dem Schweifstern abzusuchen. Dabei war es meine Idee gewesen, Hartley zu beobachten. Ich hatte es für die geeignete Kulisse gehalten, Chris einen Heiratsantrag zu machen. Kometen waren ein Spleen von mir, der sich aus der Jugendzeit gehalten hatte. Unwillkürlich blickte ich zum Himmel. Ein kleiner heller Punkt, mit einem kaum merklichen Schweif, kroch wie eine Albino-Fliege zwischen den Sternen. Trotz der bizarren Situation, in der wir uns befanden, musste ich das Bild bewundern. Ein Reisender auf Kurzbesuch. Unermüdlich jagte er durch das All; ein Suchender nach … Um ihn besser sehen zu können, kletterte ich auf den Findling.

„Faszinierend“, rief ich aus, den Streit mit Chris verdrängend. „Siehst du ihn?“

Natürlich sah sie den Kometen. Chris war ja nicht blind oder auf den Kopf gefallen. Sie war nur schwanger – und mit einem Schlag war der Komet zweitrangig.

Der Schweifstern verlor sich zwischen den Wipfeln einer Gruppe großer Eschen. Von Badow her schallten Stimmen herüber, fern und unbestimmt wie Eulenrufe.

Plötzlich spürte ich ein starkes Zittern über meinen Körper laufen. Ich glaubte die Atmung würde mir versagen und ich schnappte nach Luft, hatte aber das Gefühl, keine zu bekommen. Mir wurde schwarz vor den Augen und ich spürte wie Panik mir langsam die Kehle zuschnürte.

 

Ich sank auf die Knie und stützte mich mit den Händen auf den Boden ab. Ein helles Summen füllte meine Ohren und auf der Zunge lag ein metallener Geschmack. Es ging alles sehr schnell. Der einzige Gedanke, der mir ins Gehirn schoss, war: Das war es jetzt. Ich sterbe. Nun gut, so sei es denn.

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