03. Juli 2022 - Roman Rezension (Werbung Rezensionsexemplar)
Amélie Nothomb schreibt in ihrem Roman „Ambivalenz“ über die Folgen einer Nicht-Entzürnung. Sie bereichert die Grundgefühle um den Zorn, den Hass und die Rache.
Reine und Claude
In einem kurzen Eröffnungskapitel lehnt Reine die Liebe des Claude zugunsten eines anderen ab. Ihre Begründung führt dazu, dass sich Claude nicht entzürnt. Sein Zorn soll nicht nur die Verbindung zu Reine in den nächsten zwanzig Jahren werden, sondern auch das Leben mehrerer Menschen beeinflussen.
Zorn ist sein Antrieb und Claude will es Reine beweisen. Er heiratet Dominique und wird ein erfolgreicher Unternehmer. In den nächsten zwanzig Jahren spielt er manchmal den aufmerksamen Ehemann, vergisst aber nie seinen Zorn.
Die wahre Heldin
Die wahre, ambivalente Figur in diesem Roman ist jedoch die Tochter von Claude und Dominique. Sie bemerkt schnell, dass der Vater sie nicht liebt; mehr noch, sie abscheulich findet und abstößt. Sie lernt schnell, ihn zu hassen und auf ihre Chance zu warten.
Die kommt, als Dominique, die sich zwischenzeitlich auf Antrieb ihres Mannes hin mit Reine angefreundet hat, Claudes wahre Absichten herausfindet. Mit der Hilfe der Tochter findet sie den Weg aus diesem Theater, um ihr eigenes Leben zu finden. Sie kann ihre Liebe beenden, doch ihre Tochter weiß, um wie viel stärker ihre Hass auf Claude ist und um wie viel stärker deshalb die Bindung zu ihm.
Ambivalent wie das Leben
Ambivalenz findet sich in diesem Roman in jedem Wort. Es ist eine nachvollziehbare, kausale Ambivalenz. Auch wenn die Bildebene der Erzählung nicht immer nachvollziehbar bleibt, so ist die Deutungsebene umso klarer.
Dazu trägt auch der kraftvolle, deutliche Stil der Autorin bei. Sie hält sich und Leserin und Leser weder mit Redundanzen noch mit Erläuterungen auf. Hier sprechen die Taten für sich. Ganz getreu dem Titel des Buches paart sie die Gefühle mit jeweils einem zweiten oder mehreren und erhält dadurch eine wunderbare Ambivalenz.
Amélie Nothomb: Ambivalenz
Aus dem Französischem von Brigitte Große
Diogenes 2022