Eine komplexe Familiengeschichte erzählt man am besten ganz einfach. Wie es geht, zeigt Helga Flatland in „Zuunterst immer Wolle“.

Es beginnt mit den Hühnern

Im ersten Satz gleich durchtrennt eine (von zwei) Ich-Erzählerin mit einem Beil ein Genick. Was wie der Start zu einem Krimi anmutet entpuppt sich als psychologisch ausgereiftes Bild einer komplexen Familiengeschichte und einem modern geschriebenen Familienroman.

Das Genick gehört übrigens einem Huhn. Sigrid ist die zweite Ich-Erzählerin in diesem Roman. Sie ist die zentrale Figur in der Handlung und auch in der Familie, obgleich weder ihr noch den anderen dieser Umstand bewusst ist.

Beziehungsaufarbeitung

Sigrids Mutter wird sterben. Vor diesem Hintergrund verschärfen sich die jahrelang unterdrückten Beziehungsstörungen nicht nur zwischen Mutter und Tochter. Zur Familiengeschichte gehören die beiden Kinder von Sigrid nebst zwei Väter, der Bruder und der Vater Gustav, der bereits mit 40 Jahren einen Schlaganfall erlitt.

Das Unausgesprochene, das Unterdrückte, das es in jeder Familiengeschichte zu entdecken gibt, kommt in diesen dramatischen Situationen ans Licht oder wenigstens in die Gedanken.

Wertungsfrei geschrieben

Helga Flatland versteht es, diese Beziehungsstörungen nach und nach zu offenbaren, sie mit dem Verhalten der Figuren darzustellen, ohne sie zu offensichtlich benennen zu müssen. Ohnehin versteht sie es meisterhaft, die Figuren durch Handlungen zu zeichnen und dabei sich jeder Wertung zu enthalten. Endlich eine Autorin, die verstanden hat, das dies die Kernkompetenz jeder Leserin und jedes Lesers ist. Wunderbar!

Helga Flatland: Zuunterst immer Wolle

Aus dem Norwegischen von Elke Ranzinger

Weidle 2022