23. März 2021 - Roman Rezension (Werbung Rezensionsexemplar)
Kluge, schöne Sätze in Reihe gebracht, können ein gutes Buch ausmachen. Olivia Ruiz zeigt mit „In einer Nacht ein ganzes Leben“ wie es gemacht wird.
Ein Leben in einer Kommode
Die Ich-Erzählerin räumt zu Beginn von „In einer Nacht ein ganzes Leben“ die Möbel zur Seite, um mit ihrem Großvater zu tanzen. Ihre Großmutter ist gestorben und beiden scheint es die einzige Methode, um es zu verkraften.
Eine Kommode steht nun in ihrer Wohnung. Eine Wohnung, deren 30 qm sie sich mit ihrer Tochter teilen kann. Nicht aber noch mit einer Kommode. Es ist die Kommode ihrer Großmutter. Ein Möbelstück, über das es später im Roman heißt: „Und weil eine Kommode, die man streng bewacht und gut befüllt, die Fantasie von Kindern ungemein beflügelt.“
So geschah es mit der Ich-Erzählerin. Jetzt aber, nach dem Tod ihrer Großmutter, sieht sie zum ersten Mal, was in ihren Schubladen steckt. Ein ganzes Leben in einer Kommode, in einer Nacht.
In unserer Familie redet man viel … um einander nichts zu sagen
Neun Briefe sind es, die Rita ihrer Enkelin hinterlassen hat. Sie enthalten Erinnerungen an ihr ganzes Leben. Erzählen von ihrer Flucht aus Spanien nach Südfrankreich. Zusammen mit ihren beiden Schwestern flüchtete sie aus der vom Bürgerkrieg gezeichneten Heimat, in der ihre Eltern starben. In Toulouse wird Rita erwachsen, trifft Rafael, wird schwanger …
Und immer wieder stockt der Lesefluss ob so schöner Sätze wie dieser: „In unser Familie redet man viel, laut und vor allem mit dem Ziel, einander nichts zu sagen.“ Sobald Leserin und Leser um die Existenz dieser Kleinode weiß, beginnt sie oder er diese schönen Sätze zu suchen. Olivia Ruiz weiß sie unscheinbar zu machen, sie in der Handlung zu verstecken. Umso schöner ist es, wenn man einen entdeckt.
Lesen als Schatzsuche
Diese Art der Schatzsuche hebt das Lesen auf ein neues Level. Doch „In einer Nacht ein ganzes Leben“ ist nicht nur ein schönes oder künstlerisch wertvolles Buch.
Ruiz thematisiert Vertreibung, Flucht und Anpassung. Auf ihre Art. Mit schönen Sätzen eben, wie: „Wer sind wir denn, dass wir uns an die anderen anpassen sollen? Sind wir nicht aus Fleisch und Blut und Knochen, genau wie sie?“
Olivia Ruiz Roman „In einer Nacht ein ganzes Leben“ benötigt keinen Schlusssatz. Er braucht keine Empfehlung: Dieser Roman spricht für sich.
Das Buch direkt beim Verlag.
Olivia Ruiz: In einer Nacht ein ganzes Leben
Harper Collins 2021
Übersetzung: Corinna Rodewald
192 Seiten, E-Book