18. Mai 2022 - Hörbuch Rezension (Werbung Rezensionsexemplar)
Wenn der Zufall Helden macht, kann das tragisch bis witzig sein. Unterhaltsam verarbeitet Maxim Leo den Stoff in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse“.
Der Anti-Held
Michael Hartung ist so etwas wie der Prototyp von einem Antihelden. Nicht besonders ehrgeizig, mehr getrieben als selbstbestimmt, gebeutelt vom technischen Fortschritt und in keinem Aspekt irgendwie erfolgreich.
Aber ein Mal hat die Zeitgeschichte bei ihm Halt gemacht. Und lässt ihn nun, dreißig Jahre später zum Helden werden. Kann das gut gehen?
Ein überraschender Besuch
Hartung ist mehr als überrascht, als eines Tages Alexander Landmann seine Videothek besucht. Lange schon waren keine Besucherinnen und Besucher, geschweige denn Kundinnen und Kunden, über die Schwelle seines Geschäfts gekommen. Wer leiht sich auch heute DVDs aus? Wieder so ein Beispiel, warum Hartung vom technischen Fortschritt so betroffen ist.
Da waren die 2000 Euro, die ihm Reporter Landmann für Hartungs Story von der Fahrt der S-Bahn 1983 vom Ostteil der Stadt über den Bahnhof Friedrichsstrasse nach Westen, dem Hartung wie ein Segen vorgekommen. Dabei hielt sich Hartungs Anteil an dieser Geschichte in Grenzen. Er hatte den Bolzen der Weiche, die den Weg in den Westen freigab, versehentlich abgebrochen. Das abgebrochene Teil hatte dann die Weiche verklemmt und damit verhindert, dass sich die Weiche zurückstellen ließ.
Schweigen, Erzählungen, Ahnungen
Hartung braucht das Geld, bleibt ungenau in seinen Aussagen und Landmann denkt sich eine Menge dazu, damit seine Story gut wird. Seine Reportage über Hartung schlägt hohe Wellen und voll ein und lässt einen Helden entstehen, der nie einer war.
Doch Medien und Politik stürzen sich gierig auf den Mann „aus dem Volk“, der 127 Menschen die Flucht in den Westen ermöglicht. Unbeachtet bleibt, dass 120 von ihnen am gleichen Tag zurück in den Osten gehen. Nach und nach kommen Zweifel auf.
Halbe Wahrheiten
Richtig gelogen hat Hartung anfangs nicht; nur einige wesentliche Dinge weggelassen. Als die Wahrheit versucht an das Tageslicht zu kommen, läuft alles auf eine Vertuschung hinaus. Stilecht wird so etwas im Kapitalismus mit Geld geregelt.
Maxim Leo erzählt unterhaltsam und überaus humorvoll von einem Helden, der in keinem Fall ein solcher war oder ist. Dabei nimmt er unsere gesellschaftlichen Zwänge, das Verhalten von Medien und Politik auf´s Korn. Die Figuren sind überzeugend entwickelt und dargestellt und so absurd die Handlung mit Abstand klingt, so glaubhaft wird sie hier erzählt. Passend dazu trägt Peter Kurth die Handlung jovial vor.
Maxim Leo: Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse
Gesprochen von Peter Kurth
Argon Verlag 2022