Komma, doppelte Zeitangaben im Titel: Der Anfang von „Gestern, im Jahr 634“ von Marion Kemmerzell weiß zu polarisieren.

Urkunde

Exemplarischer erster Satz bei Kemmerzell: „Am 30. Dezember des Jahres 634 diktierte Adalgisel Grimo dem Diakon Erchenulf sein Testament“. Wieder (nach dem Titel) rückt die Zeit in den Fokus aber auch der letzte Wille von Adalgisel Grimo. Dieses Testament gilt als älteste frühmittelalterliche Urkunde, aus der sich auch Gebräuche aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte dieser Zeit in Rheinlande ableiten lassen.

Grimo und seine Schwester Ermengundis sind die Protagonisten des historischen Romans. Nun, man mag den Titel gut finden oder nicht: er deutet Zeitsprünge an.

Rückblickend

Aus der Rahmenhandlung (Testamentsverfassung) wird folgerichtig ein Rückblick auf das Leben Grimos und Ermengundis. Allein dies zeigt bereits, dass dabei nicht allein aus Grimos Perspektive erzählt werden kann. So wählt die Autorin den allwissenden Erzähler, wie er so häufig in Büchern dieses Genres anzutreffen ist. Es schleicht sich der Gedanke ein, dass hier eine Chance verpasst wurde, die Geschichte nur aus Grimos Sicht zu berichten. Die Erzählung verpasst auch, innerhalb der Rahmenhandlung chronologisch zu bleiben. Es wird munter in der Zeit gesprungen.

Die Kinder müssen ihr Heim verlassen da die Pest in der Stadt wütet. Die kranke Mutter bleibt zurück. In den Ränkespielen der Herrschenden werden Ermengundis und Grimo zum Spielball und später zu Mitspielern.

Klassische Idee

Ausgehend vom letzten Willen Grimos spinnt die Autorin eine mögliche Geschichte des Diakons und seiner Schwester und hält sich dabei an die spärlich bekannten Fakten. Die gewählte Perspektive ist zwar klassisch, hält uns die Protagonisten auf Abstand.

Vielleicht hätte eine emotionale Beziehung der Handlung mehr emphatische Bindung verliehen. So bleibt alles auf Abstand. Da hätte sich im Titel das Gestern samt Komma sparen lassen.

Marion Kemmerzell: Gestern, im Jahr 634

Verlag Kröner Edition Klöpfer 2023